EDEWA – Einkaufsgenossenschaft antirassistischen Widerstandes
Wanderausstellung
(Stand 08/2015)
Motivation
Rassismen und Sexismen, sowie andere Unterdrückungsformen, begegnen uns tagtäglich in unserer Gesellschaft. Sie werden häufig durch Sprache und Bilder, die als soziale Handlungsrahmen verstanden werden, bewusst oder unbewusst reproduziert. Für Personen, die durch diese alltäglichen rassistischen und/oder sexistischen Handlungen eine direkte Diskriminierung erfahren, sind diese deutlich wahrnehmbar. Für Menschen ohne Diskriminierungserfahrungen bleiben sie häufig verborgen; sie blenden ihre eigene Rolle in der Reproduktion der Diskriminierungsstruktur aus und entziehen sich der Verantwortung, diese zu dekonstruieren. Dies ist die Grundannahme, auf der unsere Ausstellung ‘EDEWA – Einkaufsgenossenschaft antirassistischen Widerstandes’ basiert.
Die Idee dieser Ausstellung entstand während des zweisemestrigen Seminars ‘May Ayim – Schwarze deutsche Feministin?’ am Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien der Humboldt-Universität zu Berlin 2011/12. Anlass zu diesem Seminar bot die Umbenennung des Gröbenufers in Berlin-Kreuzberg in May-Ayim-Ufer, welches erstmals im urbanen Stadtbild eine postkoloniale Perspektivumkehr markierte und einen Rahmen bot, Themen wie Kolonialismus, Rassismus und Sexismus wissenschaftlich aufzuarbeiten.
Auf der Grundlage von postkolonialen Theorien und Critical Whiteness Ansätzen war es möglich, koloniale Dis_Kontinuitäten im deutschen Alltag aufzudecken und Rassismen und Sexismen sichtbar und spürbar zu machen. Für deren Allgegenwärtigkeit gibt es in Deutschland vielerlei Beispiele. So gibt es neben Straßen, Plätzen und Alleen, die Kolonialdespot_innen ehren, die Vermarktung von sogenannten ‘Kolonialmöbeln’, die stilgetreu nachgebaut werden. Auch in Supermärkten, die ihrer Kolonialvergangenheit ‘entinnern’, sind Produkte mit rassifizierenden und diskriminierenden Fremdbezeichnungen käuflich zu erwerben.
Dies bietet Anlass dazu, die Vermarktungsprozesse in der Darstellung in einer von uns erstellten Produktpalette perspektivisch umzukehren, so dass wirkmächtige Herrschafts- und Ungleichheitsverhältnisse sichtbar zum Ausdruck gebracht werden. Anhand der Begriffsgeschichten einzelner Produktbezeichnungen möchten wir deren Bedeutungsgeschichte aufzeigen und erläutern, welche Effekte die Verwendung solcher Begriffe für einzelne Gruppen hat und wie dagegen Widerstand geleistet wurde und wird.
Der Alltagskonsum von Produkten, deren Vermarktung auf Versklavung, Ausbeutung und Diskriminierung beruht, hat in Deutschland eine lange Tradition, genauso wie auch der tägliche Widerstand dagegen. Der Raum eines Supermarktes, der von allen Menschen aller gesellschaftlichen Zugehörigkeiten täglich besucht wird, bietet uns die Möglichkeit, antirassistischen und antisexistischen Widerstand einzelner Gruppen wahrnehmbar zu machen und die historischen Kämpfe einzelner Feministinnen, wie May Ayim, zu erleben. Gleichzeitig spiegeln Supermärkte, die trivialer und gewöhnlicher kaum sein könnten, wie kein anderer Ort die Alltäglichkeit von Rassismen und Sexismen in Deutschland wider.
Ziele
Mit unserer interaktiven Ausstellung verfolgen wir das Ziel, durch die Sichtbarmachung (Aufdecken) der gewalttätigen und diskriminierenden Gesellschaftsstrukturen den Alltagsrassismus (besonders im Kolonialwarenhandel) zunächst offenzulegen, aber auch Strategien zu entwickeln, mit den eigenen Rassismen und Sexismen und den eigenen Rassismus- und Sexismuserfahrungen umzugehen. Konkret bedeutet dies, dass wir Besucher_innen unterstützen wollen, sich über ihre eigene Verantwortung im Kontext von Rassismus und Sexismus bewusst(er) zu werden – eine Verantwortung, die nicht nur Menschen tragen, die Diskriminierung erleben. Gleichzeitig üben wir direkte Kritik an der mangelhaften Aufarbeitung deutscher Kolonialgeschichte, v.a. im Kontext des kolonialen Warenhandels, aus. Dadurch wollen wir bei den Besucher_innen eine Bewusstwerdung (Bemächtigen) über Widerstandsgeschichten und -möglichkeiten als auch über die eigene Position in dieser von anhaltender Kolonialität geprägten Gesellschaft anregen. Schließlich ist es unser Ziel, den bestehenden Umgang mit alltäglichen Rassismen und Sexismen nachhaltig zum Positiven zu verändern, indem wir Besucher_innen ermutigen, gegen Kolonialität, Unterdrückung, Rassismen und Sexismen im Alltag zu intervenieren (Handeln).
Aufdecken
Grundlegendstes Ziel unserer Ausstellung ist es, Rassismen und damit verbundene Sexismen innerhalb unserer mehrheitlich weißen Gesellschaft aufzudecken. Oftmals werden diskriminierende und rassistische Konzepte völlig unreflektiert und unwissend im Alltag verwendet. Es können die Schokoladenwaffeln sein, die mit Hilfe von herabwürdigenden Stereotypen beworben werden. Gleichermaßen können Rassismen im Supermarktregal lauern, wenn zum Beispiel Schoko-Schaumküsse oder die Paprika-Grillsauce diffamierende Fremdbezeichnungen tragen. Anhand solcher in Gewohnheit versinkender Beispiele wollen wir bei unseren Besucher_innen das Bewusstsein dafür schärfen, dass Rassismus jede_n in irgendeiner Form angeht und betrifft. In diesem Zusammenhang wollen wir weiß als unsichtbaren Parameter, der die gesellschaftliche Norm bestimmt und das Leben eines jeden von uns tagtäglich beeinflusst, sichtbar machen. Das bedeutet auch, auf die ungleichen Machtverhältnisse innerhalb der weißen deutschen Mehrheitsgesellschaft aufmerksam zu machen.
Bemächtigen
Während die Sichtbarmachung von Rassismen und Sexismen im Alltag und des immer währenden Widerstands von Schwarzen, PoC und Roma unser Basisanliegen ist, ist es darüber hinaus unser Wunsch, dass die Besucher_innen mit einem neuen und gestärkten Bewusstsein aus der Ausstellung herausgehen. Ein Besuch bei EDEWA soll darin bestärken, sowohl bestehende alltägliche Diskriminierungsstrukturen zu erkennen als auch die eigene Position innerhalb dieser. Demnach wird es nicht nur eine ‘Bemächtigung’ geben. So kann die Sichtbarmachung von Weißsein als gesellschaftliche Norm, welche De_Privilegien hervorbringt, ein erweitertes Bewusstsein über die eigene Position im Alltag ermöglichen. Gleichzeitig wollen wir durch die Bekanntmachung von Widerstandsgeschichten, die seit vielen Jahrhunderten auch in Deutschland gelebt werden, den antirassistischen Widerstand sichtbar machen. Dabei möchten wir die Erfahrungen mit Rassismen (und Sexismen), denen Schwarze Menschen, Roma und andere People of Color (und Women of Color) täglich ausgesetzt sind, enttabuisieren.
Handeln
In diesem Sinne ist es notwendig, unsere Besucher_innen dazu zu ermutigen, nicht nur ihre Teilhabe oder Position in besagten rassistischen Strukturen zu erkennen, sondern sich darüber hinaus zu fragen, was sie im Alltag gegen Diskriminierungen tun können. Wir möchten durch die Ausstellung Wissen vermitteln, welches grundlegendes Werkzeug für strategisches Handeln bildet. Zudem möchten wir, dass sich unsere Besucher_innen ungeachtet ihrer sozial-politischen Positionierung als Akteur_innen verstehen, die durch ebendiese Handlungen gesellschaftliche Veränderung bewirken können.
Zielgruppe
Mit unserer Ausstellung werden Personen verschiedenster gesellschaftlicher Positionierung und unterschiedliche Altersgruppen angesprochen, da unsere Themenschwerpunkte Kolonialismus, Rassismus und Sexismus ebenfalls keine Altersbegrenzung kennen und jede Gesellschaftsgruppe betreffen. Führungen können nach vorheriger Absprache ebenfalls speziell für bestimmte Gruppen und mit entsprechendem inhaltlichem Schwerpunkt durchgeführt werden. Da die Ausstellung besonders zu nachhaltiger politischer Bildung und Bewusstwerdung in der Gesellschaft beitragen will, sind Kooperationen mit Schulklassen und Studierendengruppen von großem Interesse. Mit der Kooperation mit Schüler_innen vom ‘King-Code Project’ in Berlin haben wir bereits sehr positive Erfahrungen gesammelt und möchten die Zusammenarbeit mit Schulen und anderen in der politischen Bildungsarbeit Tätigen in Zukunft weiter ausbauen. Darüber hinaus sind wir für weitere Kooperationen im Sinne unserer Ziele offen und hoffen, ein breites Publikum zu erreichen.
Umsetzung
EDEWA ist eine interaktive Wanderausstellung, die konzeptionell multimedial und performativ zu verstehen ist. Der interaktive Charakter von EDEWA wird bei unserer Produktpalette besonders deutlich. Die antikolonialen und rassismuskritischen Produkte sind zum Anfassen und Diskutieren. Sie sollen durch widerständiges Wissen und beispielsweise Poesie den ‘normierten’ weißen Blick der hegemonialen Mehrheitsgesellschaft herausfordern und die Betrachter_innen zum Nachdenken bringen. Die Produkte regen durch einen Perspektivwechsel zum kritischen Hinterfragen des (eigenen) Konsumverhaltens und der eigenen Wahrnehmung an und thematisieren gleichzeitig den Konsumkontext. Das Kreieren von Produkten, die die Perspektive umkehren, ist also auch der konsequente Schritt, Weißsein als konstruierte ‘Norm’ sichtbar zu machen und herauszufordern.
Die meisten Produkte wurden inspiriert von alltäglichen rassistisch-kolonialen Produkt-Bezeichnungen, Bildern und Inhalten, die in Supermärkten zu finden sind. Dargestellt werden aber auch ‘typisch’ koloniale Produkte wie Kaffee und Schokolade, deren problematische und ausbeuterische Produktionsverhältnisse sowie rassistische&sexistische Vermarktung – über Verpackungswerbung und Produktbezeichnungen – angesprochen werden. Anhand von ‘Wegwerfdosen’ werden diskriminierende Fremdbezeichnungen und deren Begriffsgeschichten, welche immer wieder in Produktnamen auftauchen, thematisiert.
Da wir einen entscheidenden Teil unserer Arbeit und Ausstellung mit der Vermittlung von und Auseinandersetzung mit widerständigen Biografien und narrativen Wissensproduktionen verbinden, stehen neben der Produktpalette Feministinnen des Widerstandes im Vordergrund. Ihre Lebensgeschichten und ihr politisches Wirken sind analytischer Zugang und Inspiration, um alltäglichen Rassismus&Sexismus in Deutschland zu kritisieren.
Ihre Portraits und einzelne Widerstandsgeschichten sind zusammen zu begreifen. So sind die politischen Kämpfe von May Ayim, Audre Lorde, Delia Zamudio und Panna Czinka als untrennbare Teile historischer und starker Widerstands-Bewegungen gegen bestehende Unterdrückung und gewaltvolle Machtstrukturen verbunden. Die Genese aus diesen Ansätzen bietet Empowerment und Strategien der Subversion von Unterdrückung und Machtstrukturen. Die Vermittlung ihrer Inhalte und politischen Kämpfe im Rahmen der Ausstellung geht daher Hand in Hand mit der kritischen Auseinandersetzung mit dem deutschen Kolonialwarenhandel und der anhaltenden Kolonialität sowie Rassismen und Sexismen. Die Ausstellung ist gewollt nach dem „Work-in-Progress“-Prinzip für solche politischen Transformationen offen gehalten, sodass sowohl die Produktpalette als auch die Reihe der porträtierten Protagonistinnen und ihre Widerstandsgeschichten erweitert werden können.
Wanderung
EDEWA ist bewusst als Wanderausstellung konzipiert, die vielperspektivisch ist und je nach Kontext und Ort eine unterschiedliche Schwerpunktlegung möglich macht. Seit ihrer Entstehung im Jahr 2011/12 ist unser interaktiver Supermarkt über verschiedene Stationen gewandert, die einen jeweils spezifischen Fokus hatten und dadurch eine Neuinterpretation der Ausstellung erlaubten. EDEWA befindet sich folglich nicht nur geographisch sondern auch inhaltlich auf einer Wanderung, auf der verschiedene Ausrichtungen je nach Station gewollt sind. Bisher haben wir beim Bund für Antidiskriminierungs- und Bildungsarbeit in der BRD (BDB) e.V. (2012), im Rroma Aether Klub Theater (2012), im Casa Latinoamericana (2012), im Rathaus Schöneberg (2013) und im Haus der Berliner Festspiele (2014) ausgestellt und haben dabei mit den Performance-Künstlerinnen Oxana Chi und Layla Zami, mit der Künstlerin Marika Schmiedt, mit der politischen Gruppe ROMA Kombinat, und mit dem Schulprojekt The King-Code Project u.a. kooperiert. Wir freuen uns auf zukünftige Ausstellungen und Kooperationen – demnächst gerne auch bei Ihnen und euch!
Kontakt
Dr. des. Natasha A. Kelly
Postfach 61 31 37
10942 Berlin
Tel: 0173-8399132
edewa@gmx.de
www.edewa.info
www.facebook.com/EDEWA2012
Das Konzept gibt es hier als pdf-Datei zum Download